Das Minarett in der Schweiz: Konflikterzeuger oder Lichtquelle?

Das Minarett in der Schweiz: Konflikterzeuger oder Lichtquelle?

Das Minarett ruft in der Schweiz eine immer leidenschaftlicher werdende Debatte hervor. Seit Monaten halte ich mich zurück über dieses Architekturobjekt, welches die Moschee schmückt, zu schreiben, da ich dachte, dass die Polemik, die es verursacht hat, sich nach einiger Zeit dämpfen würde. Leider ist dies nicht der Fall. Letzte Woche haben Rechtsaussen-Politiker eine eidgenössische Volksinitiative « Gegen den Bau von Minaretten » lanciert. Ich halte es also für nötig an der Debatte teilzunehmen und Einiges bezüglich der Minarette zu erläutern.

Welche Interpretationen doch über die Symbolik des Minaretts vorgebracht worden sind!

Seine Verteidiger behaupten, es würde die Ziffer 1 symbolisieren, das göttliche Einssein oder dass es auf die Form des Buchstaben alif verweist, der Erste im arabischen Alphabet, der den Platz des Wissens in der Moschee unterstreicht. Andere sehen darin einen Indikator, der stetig die Richtung des Himmels anzeigt und an die Anwesenheit des Einzigen erinnert.

Seine Gegner sehen in ihm ein Machtsymbol, welches den aggressiven Charakter des Islams darstellt oder ein Phallus-Symbol, welches eine patriarchalische Kultur widerspiegelt, die die Unterwerfung der Frau verewigt und einige Karikaturisten sehen im Minarett sogar eine Richtung Westen ragende Rakete.

Bundesrat Christoph Blocher hat es für nötig gehalten, in die Debatte über die Minarette einzugreifen, indem er die Minarette in der Westschweizer Sonntagszeitung Matin Dimanche (vom 6. Mai 2007) als ein “Zeichen von Beherrschung“ bewertete und er sich Gedanken mache “ob sie in einem christlichen Land wie der Schweiz einen Platz haben?” Allerdings erklärte er, dass ”der Bund keine Religion als Staatsreligion anerkennt. “

Herr Blocher denkt zu Recht, dass gigantische Ausmasse und extreme Erhöhung eines Bauwerkes die Botschaft von erdrückender Macht und Beherrschung überbringen kann. Die Architekturhistoriker erklären, dass die eindrucksvolle Höhe der offiziellen Gebäude in den verschiedenen Zivilisationen, vom Altertum bis zur modernen Ära, das Ziel hat, den Menschen zu beeindrucken und ihm die Unterwerfung zur politischen oder religiösen Macht einzuschärfen. Herr Blocher täuscht sich jedoch ganz offensichtlich, wenn er diese Folgerung im Bezug auf das Minarett zieht, ohne dass er sich bemüht, sich über seine Geschichte und seine Aufgabe in der Stadt zu informieren.

Es empfiehlt sich auch darauf hinzuweisen dass es während des 1. Jahrhundert des Islams in den Moscheen fast keine Minarette gab. Als der Bau der ersten Moschee der islamischen Geschichte in Medina vollendet war, fand zwischen dem Prophet Muhammad und seinen Gefährten eine Diskussion statt, wie man den Gebetsruf [adhan] machen könnte. Mehrere Lösungen wurden vorgeschlagen, darunter die Glocke der Christen und das Horn der Juden. Schliesslich wurde für die menschliche Stimme entschieden. Bilal der Abbessinier, der gerade aus seiner Versklavung befreit worden war, wurde von Prophet ernannt den ersten Gebetsruf des Islams vom Dach der Moschee auszurufen. Er war der 1.Gebetsrufer [muadhin] des Islams (auch Muezzin genannt).

Die Historiker geben den Bau der ersten Minarette ungefähr 80 Jahre nach dem Tod des Propheten an, besonders in Damaskus, wo die Umayyaden-Dynastie herrschte. Spezialisten der islamischen Architektur erwähnen den Einfluss auf die Konzeption der Moscheen von den byzantinischen Kirchen von Syrien, das Minarett ist das Pendant des Kirchturms. Vielleicht wird aus diesem Grund in einigen Regionen der Arabischen Welt, besonders im Maghreb, das Minarett auch suumah genannt, ein Wort das auch eine Einsiedlung oder ein Kloster bezeichnet.

Ursprünglich dienten die ersten Minarette, die mit Fackeln versehen waren, dazu die Umgebung der Moscheen zu beleuchten. Der Begriff Minarett stammt in der Tat vom arabischen Wort manaara, ein abgeleitetes Wort von nur (Licht) ab. Minarett bedeutet also wortwörtlich Leuchtturm. Ausserdem boten diese Wach- oder Ausrufertürme dem Muezzin eine vorteilhafte Position, seine Stimme konnte somit, in den immer zunehmenden städtischen Ballungsräumen, so weit wie möglich gehört werden. Folglich wird das Minarett auch im Arabischen mi’ dhana genannt: Der Ort, von dem aus der Ruf zum Gebet erfolgt.

Es ist offensichtlich, dass seit der Existenz der Lautsprecher der Muezzin nicht mehr nach oben ins Minarett muss. Es verlor noch mehr von seiner funktionellen Nützlichkeit durch den Fortschritt in der Stadtbeleuchtung und durch die technischen Mittel, die dem Gläubigen erlauben persönlich über die Gebetszeit informiert zu werden, (über Rechner, Handy, Quarzuhr usw.).

Das Minarett bewahrt jedoch seine ästhetische Dimension. Schlank und elegant passt es sich harmonisch den örtlichen architektonischen Traditionen in der ganzen Welt an. Es ist weit davon entfernt einen Machtanspruch zu erheben, sondern wird als physische, wie auch geistige, Lichtquelle angesehen. Das Minarett ist mit dem Ritualgebet oder salah (von silah) verbunden, welches die ständige Beziehung zwischen dem menschlichen Wesen und der Lichtquelle (an-Nuur), ein Attribut des Schöpfers, symbolisiert. Diese Bindung erlaubt die innere Läuterung.

Die Konflikte, die durch die Bauprojekte von Moscheen in der Schweiz entstanden sind, müssten auf örtlichen Ebenen in einem Vertrauensklima und unter Rücksichtnahme der Umgebung angegangen werden, ohne jede Leidenschaft. Die islamische Religion verlangt nicht die Präsenz eines Minaretts in einer Moschee und noch weniger die Höhe, noch die Form. Jene, die wünschen eine Moschee mit Minarett zu bauen, können die passende Architektur planen, die selbstverständlich die urbanistischen Forderungen und die Wünsche der jeweiligen Umgebung und der Mitbürger berücksichtigt.

Wenn Laizismus, zu Recht, die Einmischung von Religion in die Staatsangelegenheiten nicht erlaubt, erlaubt sie aber auch nicht dem Staat sich in Religionsführung weitgehend einzumischen. Was jene betrifft, die sich über den Platz des Minaretts ”in einem christlichen Land wie die Schweiz” Gedanken machen, was würden wir denn sagen, wenn aus Gegenseitigkeit, in den islamischen Ländern, die Kirchen, wovon einige ausserdem architektonische Meisterwerke sind, verboten werden.

Manche wollen leider, oft zu politischen Zwecken, ein banales Thema in “nationale Sicherheit” verwandeln. Durch ihre unverantwortlichen Einstellungen und Reaktionen fördern sie bei den Nichtmuslimen den Angst- und Ablehnungstrieb und verstärken bei den Muslimen das Gefühl der Verweigerung und der Frustration. Ermessen sie aber das Risiko, welches sie der gesellschaftlichen Harmonie in diesem Land aussetzen? Wann werden sie sich dessen bewusst werden, dass weder Angst noch Frustration wünschenswert sind, wenn man danach strebt, ein Gesellschaftsmodell zu bewahren, das auf Respekt, dem Zusammenschluss und der Solidarität zwischen den Bürgern basiert?

Von Abbas Aroua
Direktor von der Fondation Cordoue de Genève
7. Mai 2007

Übersetzung aus dem Französischen : Monica Hostettler

Français: Le minaret en Suisse : générateur de tension ou source de lumière?

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